Ein Computervirus als Kunstwerk
Florian
Rötzer 08.06.2001
Der erste Python-Virus auf der Biennale in
Venedig
Natürlich musste das kommen, und die Biennale in
Venedig, die morgen eröffnet wird, ist sicher eine gute
Plattform, um die Aktion entsprechend zu inszenieren. Sind die
Hacker die Künstler des Codeschreibens, so die Virenschreiber die
von meist bösartigen Programmen, deren Hauptzweck es ist, sich zu
verbreiten, wenn sie ins Freie entlassen werden. Jetzt haben endlich
Künstler, die im slowenischen Pavillon präsentiert werden,
Computerviren als Kunstform entdeckt.
Eines der Hauptziele der Kunst ist das erregen von
Aufmerksamkeit. In dieser Profession sind Künstler in der mit Medien
und Informationstechniken überzogenen Gesellschaft etwas ins
Hintertreffen geraten und versuchen seitdem, möglichst
Ungewöhnliches und Auffälliges zu machen. Jetzt also haben zwei
Künstlergruppen, epidemiC und 0100101110101101.ORG,
einen Virus mit dem treffenden Namen "biennale.py" zur Eröffnung der
49. Biennale in Venedig geschaffen.
Die Endung weist schon darauf hin, dass die Künstler nicht den
mittlerweile häufig gebrauchten Visual Basic Baukasten verwendet,
sondern ihr Produkt mit Python geschrieben haben, was allerdings
auch die Ausbreitung beschränken wird, denn Python haben nur wenige
auf ihren Computer installiert. Aber wahrscheinlich haben sie
dadurch wenigstens die Premiere eingestellt und den ersten
Pythons-Virus geschaffen, der über dies auch noch der langsamste
Virus sein soll. Freundlicherweise haben die Künstler dennoch in
einer Ankündigung vor ihrem Virus gewarnt, was dann ja eigentlich
darauf zuläuft, dass der Virus als Kunstwerk sich darin erschöpft,
zwar funktionsfähig hergestellt zu werden, aber nicht in die
Wirklichkeit einzudringen. So wie herkömmliche Kunstwerke in Museen
oder Galerien ausgestellt und von der Theorie in der Sphäre des
Scheins angesiedelt werden, bliebe also auch "biennale.py"
unwirksam. Die Künstler haben denn auch eine Kopie ihres Produkt
angeblich an die bekanntesten Hersteller von Antiviren-Programmen
geschickt.
Der Virus selbst durchsucht, wenn aktiviert, auf der Festplatte
alle Dateien und verändert die .py- und .pyw-Dateien, indem er
"biennale.py" hinzufügt. Das ist allerdings recht harmlos, zumal die
Künstler, sofern wirklich ein Computer infiziert werden sollte,
angeben, wie sich die Veränderungen wieder entfernen lassen. Man
habe den Virus extra so geschrieben, dass kein Schaden durch ihn
entstehen kann. Sicherheitshalber fügen die Autoren auch hinzu: "Die
Autoren betrachten sich aus keinem Grund selbst für die Ausführung
der Befehlssequenz, die zu 'biennale.py' gehört, verantwortlich. Der
Virus wurde ausdrücklich für die Biennale in Venedig geschaffen und
sollte gleichwohl sofort gelöscht werden." Da die Künstler nichts
davon schreiben, dass und wie der Virus ins Freie gelangt und sich
dort reproduziert, dürfen wir annehmen
Wie es sich für eine Kunstaktion gehört, muss sie auch
theoretisch untermauert werden, denn in der Kunst existiert nichts,
was nicht gleichzeitig auch interpretiert und theoretisch eingerahmt
wird. Flaminio Gualdoni etwa schreibt über die "Ästhetik des Source
Code" und sieht den Virus als Kunstform in der Tradition des
Dadaismus angesiedelt. Und dann wird natürlich noch viel
herumgeredet oder zelebriert: "The virus is the monster, that’s for
sure. It is the anomaly in relation to the norm. Yet at the same
time it is the confirmation and application of the norm, of its
existence, like all mechanisms which we symbolise with the aspect of
a shadow, of the double other." Demgegenüber ist das Produkt der
Kunst selbst außergewöhnlich transparent. Und wer der neuen
Gleichung folgen will, dass die Avantgarde ein Virus ist - oder war
es umgekehrt? -, der kann auf der Website auch noch lauschen, wie
Franco Bifo Berardi den Quellcode des schon legendär gewordenen
ILOVEYOU-Virus vorträgt.