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Titel NZZ Medien und Informatik

 

Computerviren im Museum

Eine Ausstellung widmet sich der digitalen Alltagskultur

Mit einer Gesprächsrunde zum Thema «Computerviren zwischen Kult und Chaos» wurde vergangene Woche im Museum für angewandte Kunst[1] in Frankfurt am Main die Ausstellung «computer viren hacker kultur» eröffnet. Das Museum für angewandte Kunst (Mak), in dem seit drei Jahren digitale Artefakte[2] gesammelt werden, will mit der kleinen Ausstellung darauf aufmerksam machen, dass Viren auch als Kulturphänomene wahrgenommen werden sollten.

«I Love You»

«Der Computervirus ist eine Ikone des digitalen Alltags, die uns alle schreckt», sagte Ausstellungsleiterin Franziska Nori bei der Eröffnung. Doch so populär das Thema ist: Zur Präsentation in einer musealen Ausstellung eignet es sich kaum. Analysen und Hintergrundinformationen zum Thema Computerviren wären hoch willkommen. Doch wer mit dieser Perspektive die Ausstellung besucht, wird enttäuscht werden. «I Love You», die per Mail geschickte Begrüssung des verheerenden Virus «Loveletter.vbs» (Schadenssumme: 8,75 Milliarden Dollar), wird beim Wort genommen: Wir lieben unsere Viren. «Wir wollen digitale Alltagskultur vermitteln, aber auch zeigen, wie eng Sprache und Codierung zusammenhängen», bestimmte Nori das Konzept. Hat es Erfolg, soll schon im Herbst die nächste Software- Ausstellung folgen.

Um das Wirken von Viren zu veranschaulichen, inszenierte die Nori den Virus als Kunst. So findet sich ein Gedicht von Ernst Jandl neben einer Vitrine, in der ein wenige Zeichen langer Shell- Code-Virus drapiert wurde. Auf grosse Fahnen gedruckte Kunst-Viren hängen über den Köpfen der Besucher. Sie wurden eigens für die Biennale 2001 vom italienischen Künstlerkollektiv epidemiC programmiert. Da erzählt ein schädlicher, d. h. Daten vernichtender Virus in seinem Source- Code die Geschichte von einem Virus, der auf eine Party geht und Spass hat.

Für Eric Chien, Leiter der Symantec Security Response, ist diese Darstellung problematisch. «Kunst suggeriert etwas Harmloses, was dieser Virus nicht ist. Auch wenn er nicht in die freie Wildbahn entlassen wurde, so ist er doch von der Gruppe verschickt worden.» Verwischt wird die Grenze durch Programme, die gar keine Viren sind, sondern «Obfuscated C Codes»:[3] Der nur knapp 1600 Zeichen umfassende Quellentext ist hier so dargestellt, dass die Zeilen den Umriss eines Flugzeugs abbilden. Wird das C-Programm in die Maschinensprache des Computers übersetzt, kann damit der Flug einer Piper Cherokee simuliert werden.

Einige Viren können «life» auf isolierten Windows-Rechnern «in the Zoo» belebt werden: Ein Mausklick auf Dateien mit Namen wie «bad boy» oder «suicide» lässt den PC abstürzen. Ein Security-PC bietet Informationen zum Virenschutz,die die Firma Symantec als Sponsor der Ausstellung zur Verfügung gestellt hat. An das Konzept«Technik zum Anfassen und Mitmachen» erinnert eine historische Übersicht, die mit dem Aufsatz des Wissenschafters John von Neumann über«Theory and Organization of Complicated Automata» einsetzt. In diesem 1949 veröffentlichten Stück beschäftigt sich von Neumann mit der Möglichkeit, dass sich Computerprogramme selbst reproduzieren: Die Geburtsstunde des Computers ist die Geburtsstunde des Computervirus.

Zu sehen gibt es neben den Viren auch Interviews mit Virenprogrammierern. Sie werden umstandslos den Hackern zugeordnet. Es sind zwaroftmals Hacker, die die Sicherheitslücken aufspüren, die dann von Virenprogrammierern genutzt werden, doch von der Pfriemelei im Stil des «Loveletter.vbs» distanzieren sich Hacker energisch. Am Eingang der Ausstellung wird ein Text zur Hackerethik gezeigt, eine Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex Datenschutz und Computersicherheit findet allerdings nicht statt.

Viren werden so den Memen gleichgestellt, die Richard Brodie, einst Redenschreiber von Bill Gates, in Anlehnung an den Biologen Richard Dawkins («The Selfish Gene») definierte. Für Brodie sind Meme Versatzstücke unserer Kultur wie der noch lebende Elvis, der (harmlose) Good- Times-Virus oder die Zahlenmystik mit 42 (Sinn des Lebens gemäss Douglas Adams) und 23 (Zahl der Illuminaten). In diesem Sinne ist die bis zum 13. Juni geöffnete Ausstellung des Mak selbst ein Virus: Sie wurde am 23. 5. eröffnet, dem Todestag des deutschen Hackers Karl Koch.

Du liebst mich nicht!

Was bleibt, ist die Liebe. Sie verwüstet den Rechner, sie zieht den Menschen zum Rechner hin, sie belebt Ausstellungen. Eines der ersten (harmlosen) Textviren spielte bereits mit dem Thema. Es verbreitete sich 1984 unter dem Namen Sex.exe und zeigte auf dem Bildschirm infizierter Rechner einen Liebesbrief: «Ich langweile mich, wenn du mich unbeaufsichtigt lässt, es ist, als wäre ich ein kaltes, nutzloses Stück Metall ohne Gefühle, aber wenn du zurück kommst und deine Hand das Laufwerk öffnet, um eine Diskette einzuführen, dann erzittere ich . . . Weiterso! Befreie mich von meinem Gehäuse, uns trennen nur ein paar Schrauben . . .»

Detlef Borchers

[1]  http://www.mak.frankfurt.de/

[2]  http://www.digitalcraft.org/

[3]  www0.us.ioccc.org/1998/banks.c

 

31. Mai 2002

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