| Artefakte im KellerEin Frankfurter Museum zeigt, was die Kinder des Internets 
            gelernt haben: Sie bauen Netzwerkserver in der Puppenstube und 
            wissen genau, warum ihnen Nokia die neusten Handys schenktvon MATHIAS MERTENS Fein säuberlich aufgereiht stehen die Villen des Frankfurter 
            Museumsufers am Main unter der Skyline der Banken. Das Museum für 
            Angewandte Kunst (MAK) zeigt noch bis Ende des Monats eine 
            Ausstellung unter dem ansprchsvollen Thema: "Blut: Perspektiven der 
            Kunst, Macht, Politik und Pathologie". Doch kaum jemanden zieht es 
            zu diesen Exponaten. In der Eingangshalle steht das Kassenpersonal 
            herum und wartet auf den Feierabend. Eine Etage tiefer dagegen, im "Nokia Lab", herrscht geschäftige 
            Betriebsamkeit. Auch hier geht es um das Blut, wenn auch nur um das 
            virtuelle, nämlich in dem Computerspiel "Carmageddon". Hier unten 
            hat das seine eigene Schwellenangst überwunden. Es zeigt angewandte 
            Kunst der Gegenwart, die nicht nur dem mehr oder weniger zeitgemäßen 
            Geschmack einer Designergenration entspricht, sondern heftig geliebt 
            wird. Über einen Videobeamer wird die Apokalypse mal aberwitzg 
            bewaffneter, mal schrottreifer Fahrzeuge auf mörderischen Straßen 
            auf eine Leinwand projiziert. Maxime spielt, Nico, Lukas und Jonas 
            fläzen sich auf silbernen Sitzsäcken im blau gestrichenen Raum und 
            kommentieren die Szene. Nur wer eine Orgie in Rot erwartet hat, wird enttäuscht. "Absolut 
            lächerlich", grient Lukas, "in der deutschen Version haben sie aus 
            Menschen Zombies gemacht und ihr Blut grün gefärbt - schon hat die 
            FSK es ab 15 freigegeben." Mit seinem Strickpulli, dem 
            Palästinensertuch und den Wanderstiefeln sieht er nicht gerade wie 
            ein Gewaltfanatiker aus, eher könnte er einem grünen Parteitag 
            entlaufen sein. Aber für weitere Ausführungen über die Inkonsequenz 
            deutscher Jugendschützer ist keine Zeit, Maxime macht gerade einige 
            riskante Manöver mit dem Auto, und der Kommentar dazu geht vor. Die Fünfzehnjährigen bilden die Gruppe "test.drive", die seit 
            einem Monat vom MAK die Gelegenheit erhalten hat, Spiele gemeinsam 
            zu testen. Entstanden ist das Unternehmen aus einem öffentlichen 
            Forum, das vor einem Jahr im Museum eingerichtet wurde, um seinen 
            Besuchern die Begegnung mit neuesten Computerspielen zu ermöglichen. 
            Mit Fragebögen sollte dabei Daten für das Projekt "digitalcraft" (http://www.digitalcraft.org/) erhoben werden. Unter 
            diesem Titel verucht das Museum schon seit einiger Zeit, Artefakte 
            wie Internetseiten oder eben auch Computerspiele zu archivieren. Die Besucher waren allerdings kaum bereit, sich längere Zeit zum 
            Spielen hinzusetzen, geschweige denn, die Fragebögen auszufüllen. 
            Der einzige Erfolg der guten Absichtbestand darin, dass die CD-ROMs 
            aus den Rechnern geklaut wurden. Schon bald wurde darum das Forum 
            wieder geschlossen, aber das Museum hatte nicht mit den bitterbösen 
            E-Mails gerechnet, die dann eintrudelten. Etliche Schüler waren 
            regelmäßig ins MAK gefahren, um gemeinsam zu spielen - eine neue 
            Erfahrung für die sonst einsam vor ihren Bildschirmen hockenden 
            Jungs. Außerdem hatten sie dort die Betreiber des Forums kennen 
            gelernt, eine Gruppe von Studenten, die seit Jahren ihre eigenen 
            "Local-Area-Networks" (LAN) betreiben, um in Computerspielen 
            gegeneinander anzutreten. Die Projektleiterin Franziska Nori war 
            beeindruckt vom Interesse der Schüler und rief die Gruppe 
            "test.drive" ins Leben, mit ein wenig Nachhilfe des finnischen 
            Elektronikherstellers Nokia, der die gesamte Hardware zur Verfügung 
            stellte - PCs, Flachbildschirme, Netzwerkkarten, Videobeamer. Der 
            gütige Sponsor räumte der Gruppe sogar einen Bankkredit ein, mit dem 
            sie eigenverantwortlich Spiele kaufen darf. Nicht einmal die Cola kostet hier reales Geld. Der Automat, der 
            in der Ecke steht, ist "einer von drei Prototypen auf der ganzen 
            Welt", erzählt Nico. Geld kann man dort nicht einwerfen, man muss 
            einen PIN-Code per SMS an das Gerät schicken, um Getränke zu 
            erhalten. Der Automat ist der Stolz der Gruppe. Sie dürfen als Erste 
            eine Technik benutzen, die es sonst noch nirgendwo gibt. Sie - 
            fünfzehnjährige Schüler, die im sonstigen öffentlichen Leben noch 
            von den meisten Veranstaltungen ausgeschlossen sind. Niemand zweifelt hier übrigens daran, welchen Gewinn sich Nokia 
            von diesen Geschenken verspricht. Gelegentlich kommen "Consulter" 
            des Sponsors vorbei und drücken den Jungs die neusten Handys in die 
            Hand, um ihnen beim Herumspielen mit den Geräten zuzusehen. Nachsicht mit Lehrern Beim letzten Mal muss die Reaktion der Gruppe sehr befriedigend 
            gewesen sein. Lukas meint jedenfalls, dass er "noch eine Woche 
            danach süchtig war". Nico ist zwar auch sehr angetan, sieht das 
            Ganze aber schon reflektierter: "Nokia erzieht jetzt die Community, 
            damit wir immer mehr Funktionen wollen und später mit ganzen 
            Konsolen herumlaufen, die alles können. Ganz nebenbei kann man auch 
            noch damit telefonieren." Mit seiner kupferroten Stoppelfrisur und den aufgedruckten 
            Flammen auf dem schwarzen Sweatshirt ist Nico sowieso die 
            auffälligste Gestalt im Raum. Ohne zu Zögern, übernimmt er die Rolle 
            des Gruppensprechers. Zwar weiß auch Lukas eine Menge zu erzählen, 
            aber der ist "eher so 'n Normalo - chatten und zocken, mehr nicht", 
            sagt Nico. Er selbst entwirft schon Internetseiten und baut mit 
            speziellen Editoren seine eigenen Levels für Computerspiele. Außerdem kommt er jetzt auf das ganz große Projekt zu sprechen: 
            den Bau eines eigenen Servers im Puppenhaus seiner Schwester. 
            "Miranod" soll das Ganze heißen, was für "Musicplay Imagereading 
            Administrative Network Operating Dollhouse" steht. Dafür schlachten 
            virtuelle Autoschlächter schon mal ganz real ihre alten Computer 
            aus, um aus den Teilen den Zentralrechner zusammenzubauen, der ihre 
            zukünftigen LAN-Partys verwalten wird. Im Moment streiten die 
            Jungingenieure noch, wie viele Lüfter das "Miranod" bekommen soll 
            (jetziger Stand: 6) - und ob sie einen Starkstromanschluss 
            benötigen. Wahrscheinlich schon. In der Schule jedenfalls kann man ihnen 
            über Technik und Computerprogrammierung nichts mehr beibringen. Das 
            haben sie sich alles selbst angeeignet. Spiele waren dabei am 
            wichtigsten, wie Nico betont. "Alles, was ich vom PC weiß, weiß ich 
            durch Spiele. Und das geht allen von uns so." Mit ihren Lehrern 
            haben sie Nachsicht, weil sie sich zumindest bemühen, zu ihnen 
            aufzuschließen. "Unser Informatiklehrer kommt uns in zwei Wochen mit 
            seiner AG hier besuchen. Der wird uns anbeten für das, was wir hier 
            veranstalten", erzählt Nico mit dem lässigen Selbstbewusstsein eines 
            Profis in seinem Bereich. Dass man es hier mit tatsächlich Profis zu tun hat, weiß auch 
            Projektleiterin Franziska Nori. "Es geht 
            hier um Expertise, nicht um Macht. Das merken die Kids, und deshalb 
            sind sie auch so begeistert." Eindimensionale Ergebnisse sind von 
            der Gruppe nicht zu erwarten. MAK und Nokia sehen einfach zu, wie 
            die Jugendlichen selbst diese Welt der Technik gestalten und dabei 
            ihre natürlichen Wege gehen. "Es ist ein Experiment, mehr wie ein 
            Poolbillardspiel, bei dem sich auch erst über drei Banden ein Effekt 
            zeigt", erläutert Nori. Oder wie 
            bei Maximes Fahrkünsten in "Carmageddon", der gerade mit seinem 
            lädierten schwarzen Sportwagen die Wand hochfährt, den Nachbrenner 
            zündet und raketengleich über die Grenzen des Spielfelds schießt. 
            Blut fließt jetzt nicht mehr, mit solchem Kinderkram halten sich nur 
            Jugendschützer auf. mwm@mathias-mertens.de taz Nr. 6646 vom 10.1.2002, 243 Zeilen, MATHIAS 
            MERTENS  LeserInnen-Kommentare
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